«Unsere Geschichte fängt an in einer dunklen Taverne, einer Art mittelalterlichen Restaurant. An der Bar sitzen Krieger und Ritter in Rüstungen, ein paar Fellhändler sitzen an einem Tisch und allerlei anderer Leute drängen sich unter der niedrigen Holzdecke.
An der Filasez haben die Tabletop Role-Playing Games (TTRPG) Einzug gehalten. Die Spieler sitzen an einem Tisch, jeder hat ein Würferset und meistens mindestens einen kleinen Stapel Papier vor sich. Der Spielleiter, oder in unserem Fall, der Lernbegleiter beschreibt die Umgebung und belebt sie mit Nicht-Spieler-Charakteren (oder auf Englisch: Non-Player Characters, NPCs).
Plötzlich steht ein Mann au einen Tisch und Ruft: «Sind hier ein Paar Abenteurer? Ich brauche 3 oder 4 Personen, die diese kleine Kiste in die nächste Stadt bringen können. Ich zahle gut!». Er zieht eine kleine, sehr schön verzierte Holzkiste aus seiner Jackentasche.»
«Sieht er böse aus?» fragt Isabella, eine riesige Kriegerin mit einer riesigen Axt auf dem Rücken.
Eigentlich ist es der 9 Jährige Schüler, der den Spielleiter fragt. Hier zeigt sich was Rollenspiele eigentlich sind: kollaboratives Geschichten erzählen. Die Spieler und der Spielleiter erzählen die Geschichte in der Interaktion; die Spieler erzählen die Handlungen ihrer Charaktere, der Spielleiter alles andere. Ob eine beschriebene Handlung auch wirklich Erfolg hat, entscheiden die Würfel. Was in der Geschichte passiert entscheiden so zu gleichen Teilen der Spielleiter, die Spieler und das Würfelglück.
«Mach einen Intuitions-Wurf»
Der 20-seitige Würfel (genannt «d20») fliegt…
«15. Pluuss… 2. 15+2 das sind…. 17! 17!»
«Du hast nicht das Gefühl, dass der Mann irgendwelche komischen Absichten hat. Er scheint ein Geschäftsmann zu sein, der einfach diese Kiste so schnell wie möglich verschicken möchte.»
Eine 17 ist ein guter Wurf. Der Intuition des Charakters kann fast sicher vertraut werden. Es scheint also tatsächlich keine Falle zu sein. Am Spieltisch werden Blicke ausgetauscht.
«Dann machen wir es!»
Wir, das sind in diesem Falle, die eben erwähnte Isabella, ein alter Zauberer mit Schlapphut namens Olaf und Leona, auf deren Druidenmantel schon Moos wächst. Es sind natürlich drei Primarschüler der Filasez, aber in der Fantasie ist ja bekanntlich alles möglich.
So machen sich die Abenteuer auf den Weg.
Der Spielleiter beschreibt wie sie die Stadt durch grosse Stadttore verlassen, wie die Umgebung langsam wilder wird und wie die Strasse immer schlechter wird.
Unterwegs unterhalten sich die Abenteurer darüber ob sie die Kiste denn nicht doch öffnen sollten – es wäre ja schon spannend was hier mit so grosser Eile geliefert werden muss. Sie entscheiden sich schlussendlich dagegen: sie haben schliesslich versprochen die Kiste abzuliefern ohne sie zu öffnen.
«An einer besonders dunklen Stelle im wilden Wald», erzählt der Spielleiter weiter «springen plötzlich zwei Goblins, der eine mit einer riesigen Ratte auf der Schulter, auf den Weg. «Reisende!» sagt der eine. «Zum Ausrauben!» der andere.»
Nun geht das freie Rollenspiel in eine in Zug und Runden gegliederte Abfolge über. Der Kampf beginnt:
Leona, die Druidin, verwandelt sich in eine Katze. Das scheint ihr die passende Form zu sein um gegen eine Ratte zu kämpfen. Olaf, der Zauberer, lässt ein paar magische Blitze fliegen und Isabella holt zum alles entscheidenden Schlag mit ihrer Axt aus…
Der 20-seitige Würfel fliegt…
«20! Er ist auf 20 gelandet!»
Es bricht Jubel aus am Spieltisch: wenn ein Würfel auf der 20 landet wird der nächste Angriff doppelt so stark.
«Meine Kriegsaxt macht 1d8 + 3 Schaden…»
Der 8-seitige Würfel (oder eben der «d8») fliegt…
«6! 6+3 ist… 9! 9 Schaden.»
«Es war eine 20, nicht?» ermahnt der Spielleiter. «Stimmt… Öhm… 9 mal 2… 16? Nein, 18! 18 Schaden!!»
Erneuter Jubel. Nicht zu unrecht:
«Ja, das hat der Goblin nicht überlebt» schmunzelt der Spielleiter.
Unsere Abenteurer haben ihre wertvolle Fracht verteidigt. Nun können sie endlich ungehindert weiterreisen und die Kiste abgeben…
…oder auch nicht. Die Mittagspause ist vorbei; der Abschluss des kleinen Abenteuer rund um die kleine Kiste muss bis nächsten Dienstag Mittag warten.
Das wir nun in der Mittagspause nicht nur unsere Sozialkompetenz geschärft, unsere Fantasie trainiert und ein moralisches Dilemma gelöst haben (darf man die Kiste jetzt öffnen oder nicht?) sondern auch noch im Kopf gerechnet, unsere Charakterblätter gelesen und Notizen geschrieben haben, scheint niemanden zu stören.