Ein Jahresthema ist mehr ein Begleiter als eine Verpflichtung, mehr Kompassnadel als vorgegebene Route und mehr Poesie als Doktrin.
Ich kenne Jahresthemen aus meiner Zeit als Schüler an der Scuola Vivante, die Jahresthemen sind eines der Konzepte die mich bis heute begleitet; seit ein paar Jahren setzte ich mir jeweils ein persönlichen Jahres-, zum Teil auch Semesterthema (Das Semester ist für einen Studenten wie mich oft die natürlichere Zeiteinheit als das Jahr). Meine aktuellen Themen sind jeweils relativ vertraulich und ich spreche nicht so gerne darüber; da man Konzepte aber am besten mit Beispielen erklärt, erzähle ich euch von einem Jahresthema, das ich vor ein paar Jahren hatte.
Vor ein paar Jahren hatte ich das Jahresthema «Fokus», wie immer hatte die Wahl des Themas verschiedene und vielschichtige Gründe. Ohne auf den Prozess der Wahl eines Themas einzugehen möchte ich hier erzählen wie die Anwendung eines Jahresthemas für mich konkret aussieht. Anders gesagt: Was hatte mein «Fokus» Jahr mit Fokus zu tun?
Vielleicht weniger als man denken würde. Wie gesagt, ein Jahresthema ist keine Verpflichtung – nicht alles was man tut hat einen direkten Bezug zum Thema. Ein Jahresthema ändert also nicht das ganze Leben, eher im Gegenteil, ein Jahresthema gibt dem Alltag maximal eine Färbung. Ein konkretes Beispiel aus meinem Fokus Jahr: regelmässig blieb ich nur wenige Minuten länger an einer Arbeit, einem Auftrag oder beim Lernen sitzen – einfach weil mir kurz vor dem aufhören mein Jahresthema in den Sinn kam und ich beschloss noch ein wenig länger dran zu bleiben. Spielt es an einem einzelnen Tag eine Rolle, wenn man 5 oder 10 Minuten länger «dran bleibt»? Nicht wirklich, wenn man das aber ein ganzes Jahr lang, auch nur an jedem dritten Tag macht, hat man dem Jahr definitiv eine Färbung gegeben. Verpflichtet regelmässig ein wenig länger dran zu bleiben habe ich mich nie, es war eine spontane Entscheidung nach der anderen die mein Jahr beeinflusst hat.
Ich verstehe ein Jahresthema als Hilfe an Punkten im Jahr wo eine Entscheidung ansteht. So habe ich mich zum Beispiel gefragt wie ich eine Reise, die anstand dokumentieren möchte. Ideen hatte ich viele, wovon am Ende noch zwei übrig blieben – schreiben oder fotografieren. Ich glaube nicht, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt an mein Jahresthema gedacht hatte, aber am Punkt einer Entscheidung lohnt sich ein Blick auf den Kompass. Auf welche der beiden Optionen der Kompass im Jahr mit dem Thema «Fokus» zeigte dürfte jedem klar sein – dass die einzige Kamera die ich auftreiben konnte einen kaputten Auto-Fokus hatte, und mich so zum manuellen Fokussieren zwang, war um so treffender.
Ein Jahresthema erlaubt Spielraum, ist mehrdeutig und ermöglicht viele Herangehensweisen – wie ein Gedicht. Es gibt dem Jahr einen roten Faden ohne einen Weg vorzuschreiben. Es ist ein kleiner, poetischer Begleiter – mal Kompass, mal Farbtupfer, mal Ausgangspunkt, mal Zielpunkt für spontane Aktionen oder Entscheidungen.
En Route sur des Ponts
Das neue Jahresthema der Filasez verbindet viele verschiedene Aspekte:
Wir sind en route, unterwegs, über Brücken die vernetzen, verbinden und gleichzeitig auch verändern. Unterwegs ist die Filasez sowieso immer und die Brücken die wir dabei überqueren können ganz unterschiedliches bedeuten.
Zwei Seiten eines Flusses sind selten gleich; die Brücke verbindet also unterschiedliches, vernetzt Nahes mit Fremdem und für denjenigen, der die Brücke überquert führt sie oft in Neues. Ausserdem steht eine Brücke für eine gewisse Stabilität, für eine etablierte Infrastruktur, die eben an beiden Ufern fest verankert ist.
Vernetzen, verbinden und verändern kann eine Brücke also erst wenn sie fest am Ausgangspunkt verankert ist. Im ersten Quartal des neuen Schuljahres starten wir also mit dem Quartalsthema «Eine Brücke zu mir selbst» – wir legen ein Fundament, auf dessen Basis wir dieses Jahr vernetzen, verbinden und Neues betreten können.